Theresia Albus: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Theresia Albus''' war die als '''Mammele''' bekannte Wirtin ''am [[Zwingel]]'' in der [[Neckargasse]] 20. Dies ist das kleine Haus direkt gegenüber vom Eingang der heutigen Pizzeria [[La Torre]]. Die Wirtin führte das Lokal von 1959 bis 1973. Seitdem ist hier keine Gastronomie mehr.  
'''Theresia Albus''' (1912 - 1986) war die als '''Mammele''' bekannte Wirtin ''am [[Zwingel]]'' in der [[Neckargasse]] 20. Dies ist das kleine Haus direkt gegenüber vom Eingang der heutigen Pizzeria [[La Torre]]. Die Wirtin führte das Lokal von 1959 bis 1973. Zuvor hatte sie als Köchin im [[Weilheimer Kneiple]] und im [[Hauptbahnhof]] gearbeitet.  


Theresia Albus sorgte sich so mütterlich und uneigennützig um ihre studentischen Gäste wie ihre als [[Tante Emilie]] bekannt gewordene Vorgängerin [[ ‎Emilie Sauer]]. Korporierte und Nicht-Korporierte saßen hier am Zwingel noch einträchtig zusammen.  
Theresia Albus sorgte sich so mütterlich und uneigennützig um ihre studentischen Gäste wie ihre als [[Tante Emilie]] bekannt gewordene Vorgängerin [[ ‎Emilie Sauer]]. Korporierte und Nicht-Korporierte saßen hier am Zwingel noch einträchtig zusammen.  


Am Heiligen Abend kamen bis zu 40 Gäste aus 20 bis 30 Nationen in ihre kleine Kneipe, spielten Gitarre, sangen Studentenlieder. Französische Soldaten sollen sogar auf ihren Heimaturlaub verzichtet haben, um bei Mammele unterm Weihnachtsbaum zu sitzen. <ref name="Tante">Manfred Hantke: [https://web.archive.org/web/20130708162529/http://www.zeit-zeugnisse.de/Home/themen_artikel,-Wo-selbst-Trunkenheit-noch-Niveau-hatte-_arid,131990.html Die Studentenmütter und Wirtinnen Tante Emilie und das Mammele waren bereits zu Lebzeiten echte Legenden: Wo selbst Trunkenheit noch Niveau hatte], zeitzeugnisse.de 22.4.2011</ref>  
Am Heiligen Abend kamen bis zu 40 Gäste aus 20 bis 30 Nationen in ihre kleine Kneipe, spielten Gitarre, sangen Studentenlieder. Französische Soldaten sollen sogar auf ihren Heimaturlaub verzichtet haben, um bei Mammele unterm Weihnachtsbaum zu sitzen.
 
„Der Laden, das bin ich“, pflegte Theresia Albus zu sagen. Sie wachte – stets mit einer langen Zigarettenspitze in der einen, ein Glas Pernod in der anderen Hand – mit ihrer Trillerpfeife und ihrer rauchigen Stimme über Sitte und Moral der Gäste. Und die schwärmten von der familiären Gemütlichkeit, von Mammeles Idealismus, ihrer Herzlichkeit, ihrer „mütterlichen Sorgelust“ und priesen den „ehrlichen Kontakt von Mensch zu Mensch“. „Selbst Trunkenheit hat hier noch Niveau“, schrieb ein Mammele-Fan in einem Leserbrief ans TAGBLATT. „Emilianer“ und „Mammele“-Verehrer gab es in der ganzen Welt – Stammtische von Tokio bis Nairobi.
 
Mitte Juni 1959 häuften sich Beschwerden der Nachbarn. Dreck, Lärm („ständige Ansammlung von Halbstarken, randalierende Betrunkene“) und „Anstoß erregendes unsittliches Verhalten“ wurden kritisiert. Sogar Geschlechtsverkehr und „öffentliche Hurerei“ soll es an der Mauer gegeben haben. Der Zwingel werde in „Pariser Platz“ umgetauft, argwöhnte man. Anfang 1961 lagen 60 Anzeigen vor.
 
So kündigte die Brauerei Wulle auch auf Drängen des Amtes für öffentliche Ordnung im Juni 1961 Theresia Albus. Doch ein Nachfolger fand sich nicht. Nachdem sich Ex-Mammele-Besucher aus aller Welt für die Wirtin eingesetzt hatten, darunter auch Tsewang Tetkong, persönlicher Dolmetscher des Dalai Lama, ließ die Stadt sie im „Wohnzimmer“, wie die Kneipe von den Gästen liebevoll genannt wurde.
 
Doch die Nachbarn beklagten sich abermals. Zum 31. März 1973 erhielt die Wirtin die Kündigung. Eine Fischbratfiliale wollte die Räume nutzen. Etwa 8000 Menschen setzten sich mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des „Wohnzimmers“ ein. Umsonst.
 
Im Zwingel ist danach nie wieder eine Kneipe untergekommen, auch das Mammele hat trotz angestrengter Suche nie wieder hinterm Tresen gestanden. 1982 veranstalteten die einstigen Gäste zum 70. Geburtstag von Theresia Albus einen Fackelzug. Er startete beim LTT, endete an ihrer Wohnung in der Christophstraße. Theresia Albus starb im September 1986. Wie die Tante wurde auch sie auf dem Bergfriedhof begraben. <ref name="Tante">Manfred Hantke: [https://web.archive.org/web/20130708162529/http://www.zeit-zeugnisse.de/Home/themen_artikel,-Wo-selbst-Trunkenheit-noch-Niveau-hatte-_arid,131990.html Die Studentenmütter und Wirtinnen Tante Emilie und das Mammele waren bereits zu Lebzeiten echte Legenden: Wo selbst Trunkenheit noch Niveau hatte], zeitzeugnisse.de 22.4.2011</ref>  
 


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Datei:Eckhaus am Neckartor Suedwest.JPG|Die Gaststätte war in dem bräunlichen Gebäude links von dem Turm.  
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==Video zur Studentenstadt Tübingen von 1964 mit Aufnahmen aus der Kneipe ==
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Ab 35:58 min. Filmsequenz aus der Kneipe, in der Theresia Albus kurz mit ihrer Trillerpfeife vorkommt. Das Lokal hieß wohl offiziell noch "Tante Emilie", und die Studenten singen ein Lied für die ein paar Jahre zuvor gestorbene Vorgängerwirtin.


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[[Kategorie:Geschichte]]  
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[[Kategorie:20. Jahrhundert]]
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Aktuelle Version vom 14. Juni 2024, 06:28 Uhr

Theresia Albus (1912 - 1986) war die als Mammele bekannte Wirtin am Zwingel in der Neckargasse 20. Dies ist das kleine Haus direkt gegenüber vom Eingang der heutigen Pizzeria La Torre. Die Wirtin führte das Lokal von 1959 bis 1973. Zuvor hatte sie als Köchin im Weilheimer Kneiple und im Hauptbahnhof gearbeitet.

Theresia Albus sorgte sich so mütterlich und uneigennützig um ihre studentischen Gäste wie ihre als Tante Emilie bekannt gewordene Vorgängerin ‎Emilie Sauer. Korporierte und Nicht-Korporierte saßen hier am Zwingel noch einträchtig zusammen.

Am Heiligen Abend kamen bis zu 40 Gäste aus 20 bis 30 Nationen in ihre kleine Kneipe, spielten Gitarre, sangen Studentenlieder. Französische Soldaten sollen sogar auf ihren Heimaturlaub verzichtet haben, um bei Mammele unterm Weihnachtsbaum zu sitzen.

„Der Laden, das bin ich“, pflegte Theresia Albus zu sagen. Sie wachte – stets mit einer langen Zigarettenspitze in der einen, ein Glas Pernod in der anderen Hand – mit ihrer Trillerpfeife und ihrer rauchigen Stimme über Sitte und Moral der Gäste. Und die schwärmten von der familiären Gemütlichkeit, von Mammeles Idealismus, ihrer Herzlichkeit, ihrer „mütterlichen Sorgelust“ und priesen den „ehrlichen Kontakt von Mensch zu Mensch“. „Selbst Trunkenheit hat hier noch Niveau“, schrieb ein Mammele-Fan in einem Leserbrief ans TAGBLATT. „Emilianer“ und „Mammele“-Verehrer gab es in der ganzen Welt – Stammtische von Tokio bis Nairobi.

Mitte Juni 1959 häuften sich Beschwerden der Nachbarn. Dreck, Lärm („ständige Ansammlung von Halbstarken, randalierende Betrunkene“) und „Anstoß erregendes unsittliches Verhalten“ wurden kritisiert. Sogar Geschlechtsverkehr und „öffentliche Hurerei“ soll es an der Mauer gegeben haben. Der Zwingel werde in „Pariser Platz“ umgetauft, argwöhnte man. Anfang 1961 lagen 60 Anzeigen vor.

So kündigte die Brauerei Wulle auch auf Drängen des Amtes für öffentliche Ordnung im Juni 1961 Theresia Albus. Doch ein Nachfolger fand sich nicht. Nachdem sich Ex-Mammele-Besucher aus aller Welt für die Wirtin eingesetzt hatten, darunter auch Tsewang Tetkong, persönlicher Dolmetscher des Dalai Lama, ließ die Stadt sie im „Wohnzimmer“, wie die Kneipe von den Gästen liebevoll genannt wurde.

Doch die Nachbarn beklagten sich abermals. Zum 31. März 1973 erhielt die Wirtin die Kündigung. Eine Fischbratfiliale wollte die Räume nutzen. Etwa 8000 Menschen setzten sich mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des „Wohnzimmers“ ein. Umsonst.

Im Zwingel ist danach nie wieder eine Kneipe untergekommen, auch das Mammele hat trotz angestrengter Suche nie wieder hinterm Tresen gestanden. 1982 veranstalteten die einstigen Gäste zum 70. Geburtstag von Theresia Albus einen Fackelzug. Er startete beim LTT, endete an ihrer Wohnung in der Christophstraße. Theresia Albus starb im September 1986. Wie die Tante wurde auch sie auf dem Bergfriedhof begraben. [1]



Video zur Studentenstadt Tübingen von 1964 mit Aufnahmen aus der Kneipe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]


Ab 35:58 min. Filmsequenz aus der Kneipe, in der Theresia Albus kurz mit ihrer Trillerpfeife vorkommt. Das Lokal hieß wohl offiziell noch "Tante Emilie", und die Studenten singen ein Lied für die ein paar Jahre zuvor gestorbene Vorgängerwirtin.


Trivia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ernst Albrecht, seinerzeit Ministerpräsident Niedersachsens, kehrte zurück nach Tübingen und besuchte das Mammele mit den Worten, dass er seine Schulden aus Studienzeiten begleichen möchte.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]